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“Eden”


Justus Liebig Universität Giessen 
Auftraggeber: Land Hessen
2018

„Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. Und Gott der Herr ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Und es ging aus von Eden ein Strom, den Garten zu bewässern (...) Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“ (1. Mo 2, 8-10, 15)

Betritt man den zentralen Innenhof der neu gebauten Kleintier- und Vogelklinik, wird der Blick unweigerlich in die Höhe geleitet: zu einem raumgreifenden Ensemble farbiger Vogelhäuser, welche – in vermeintlich zufälliger Anordnung hängend – den kompletten Platz dominieren. Goldfarbene Stangen strukturieren dieses Terrain und formulieren das stilisierte Bild eines Astwerks. Transparent, gelb- und goldfarben, lichtdurchflutet und scheinbar selbstleuchtend haben die künstlichen Habitate eine ästhetische Wirkung, die im Kontrast steht zum profanen Erscheinungsbild üblicher, meist hölzerner Vogelkästen. Zunächst kaum spürbar, dann jedoch klar zu vernehmen, mischt sich zur optischen Erscheinung der Vogelwelt das Zwitschern einzelner Vögel. Doch es sind keine Vögel zu sehen. Es wird nur die Illusion einer Naturidylle erzeugt, wobei verschiedene Assoziationen hervorgerufen werden: der Garten, der Wald, die Wiese – Orte der Harmonie, der Vollkommenheit, der Unbeschwertheit, Räume fern der zivilisatorischen Betriebsamkeit. Mit dem schwebenden Vogelhausensemble wird kompositorisch wie dramaturgisch die Idee der im Außenbereich vorgelagerten Volieren aufgegriffen und ins Zentrum des Gebäudekomplexes übertragen, das Tier gewissermaßen nach innen geholt.

Die Frage nach der Rolle des Tiers in unserer Gesellschaft, nach dem ambivalenten Verhältnis zu ihm war Ausgangspunkt der konzeptionellen Überlegungen: Der moderne Mensch mag Tiere und sperrt sie hinter Gitter. Er streichelt ihr weiches Fell und kleidet sich in Pelz. Er schützt und (be)nutzt Tiere. Er versorgt und verspeist sie. Er raubt ihnen den Lebensraum und gibt ihnen mehr, als die Natur selbst bieten könnte: vielfältiges, zertifiziertes, mit Vitaminen und anderen wichtigen Zusatzstoffen angereichertes Futter, umfangreiche Spiel- und Beschäftigungsmöglichkeiten, nicht zuletzt eine moderne Tiermedizin, die in der Lage ist, viele Krankheiten zu heilen und fast jeden Schmerz zu lindern.

Der wohlstrukturierte, auf medizinisch höchstem Standard errichtete und für die Patienten wie für die Tierbesitzer äußerst komfortable Klinikneubau kommt dem Bedürfnis unserer Gesellschaft entgegen, Tieren zu helfen, sie zu pflegen und zu umsorgen. Die Klinik als Ersatzparadies für Tiere? Kann man eine Tierklinik zu den Orten zählen, die – nach dem Philosophen Michel Foucault – „in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, sozusagen Gegenplatzierungen oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können“? (zit. nach: Michel Foucault, „Andere Räume“, in: Barck, Karlheinz u.a., Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1992, S. 34-46). Foucault redet von „Heterotopien“, „weil diese Orte ganz andere sind als alle Plätze, die sie reflektieren oder von denen sie sprechen“. Eine Tierklinik ist ein vom Menschen errichtetes, komplexes Gebäude in der Stadt, das kranke oder zu behandelnde Tiere aufnimmt, sie aus ihrem „häuslichen“ Umfeld holt, welches wiederum meist weit entfernt ist vom natürlichen Umfeld des jeweiligen Tiers. Tierarten aus den unterschiedlichsten Lebensräumen treffen aufeinander, und einige Leiden, die hier behandelt und erforscht werden, wären ohne die Domestizierung der Tiere und ohne manch eitle Züchtung gar nicht existent. So entsteht im abgeschlossenen Raum der Klinik ein eigenes Leben, eine eigene „Gesellschaft“.

Dem Menschen im Garten Eden wird die Aufgabe erteilt, diesen zu bebauen und zu bewahren (siehe 1. Mo 2, 8-10, 15). Die Installation „Eden“ symbolisiert einen hängenden Garten, ein Vogelparadies, das allerdings von den Vögeln nicht wirklich bewohnt werden kann, einen künstlichen Sehnsuchtsort des Menschen, eine Stätte, die er selbst zum Leuchten und zum Klingen zu bringen vermag, die sich aber dem direkten Zugriff entzieht – als Spiegel der Klinik, die Erkenntnis und Heilung bietet oder Hoffnung auf Genesung, aber ein artgerechtes Leben im natürlichen Umfeld nicht ersetzen kann, als Projektionsraum für die das Zusammenleben mit Fauna und Flora betreffenden Fragen des Menschen.